Mittwoch, März 22

Die unertraeglichen Verweise von Amazon

Manchmal entdeckt man Angriffe auf das Kulturgeschehen in Bereichen, wo man sie nicht erwartet: im e-Commerce. Eines Tages kam der e-Retailes Amazom.com auf die Idee, seinen Kunden soviel Produkte wie moeglich ins Gesicht zu werfen. Und um sicher zu gehen, dass ihn diese Produkte auch interessieren, gibt es drei Moeglichkeiten: 1. "Was andere Kunden auch toll fanden": Mag fuer den Liebhaber der Top20-Hits noch Sinn machen, aber wen es in etwas weniger populaere Bereiche verschlaegt, der wird mit zum Teil aberwitzigen Vorschlaegen konfrontiert. 2. Die eigene Kaufvergangenheit: Kaum hat man das neue Harry Potter Buch oder die neue U2-CD als Geschenk bestellt, so wird man von nun an fuer immer und ewig mit Potter-Devotionalien und der U2-Diskographie belaestigt. 3. Die "Kauftipps": Hier wird zum aktuell besichtigten Produkt ein zweites angeboten, dass dieses optimal ergaenzt. Waehrend bei den Punkten 1 und 2 der Zufall bzw. der Kunde der Ausgangspunkt fuer die falsche Interpretation seiner Beduerfnisse sind, entscheidet bei Punkt 3 Amazon selbst, was zusammenpasst. Man nehme z. B. die neu erschienene Special Edition-DVD von "The unbearable lightness of being" (Die Unbeschwerte Leichtigkeit des Seins) nach dem Roman von Milos Kundra. Der Roman ist Weltliteratur, das Skript wurde fuer den Oscar nominiert und der Film gilt bis heute als Meisterwerk des romantisch-politischen Films (es geht um die Zeit des Prager Fruehlings). Was ist also nach Amazon die optimale Ergaenzung zu diesem kulturellen Highlight? "Female Masturbation - Pleasures of a Woman in Orgasm: Elle". Der Fachmann staunt und der Laie wundert sich. Was soll man daraus schliessen? Ist nach der Meinung der Amazon-Verantwortlichen der Film von Philip Kaufmann an sexuell frustrierte Frauen gerichtet? Oder sieht man das Zielpublikum eher im intellektuellen Notstaendler, der es als "unter seinem Niveau" ansieht, richtige Pornos zu bestellen (die es bei Amazon ja auch nicht gibt, deren Pakete ja eher auf Buecher als auf Weichzeichner-Rundungen schliessen lassen)? Auf jeden Fall ist es bemerkenswert, dass die Essenz der "Unbearable Lightness" anscheinend weibliche Orgasmusschwierigkeiten ist. Ich habe den Film nun einmal im englischen Original und einmal mit dem zusaetzlichen Kommentar des Regisseurs gesehen und kann mit Fug und Recht behaupten, dass dieses Thema im Film ueberhaupt nicht zur Sprache kommt. Masturbation auch nicht. Und die "Elle" gab es im 68er Tschechien sowieso nicht. Und so bleibt nur die Frage, wie Amazon zu diesen Kombinationen kommt: Praktikanten, die ausser dem Cover-Bild und dem Titel nichts von dem Produkt wissen? Eine "intelligente" Textvergleichssoftware die "unbearable" und "lightness" sofort in die Erotik-Kategorie verschiebt? Oder werden einfach alle Filme desselben Ratings (Altersfreigabe) in einen Topf geworfen? Natuerlich ist fuer Amerikaner jeder Film, bei dem einen nackte Frauenbrust zu erkennen ist ja schon richtig widerlich; aber dass nun jeder europaeische Film, wo nunmal mit anderen Massstaeben gemessen wird, nun in der Schmuddelecke landet ist ja nun auch keine Loesung...bekomm ich dann bald mit dem Biologie-Buch fuer das 8. Schuljahr gleich "The Passion of Christ" als optimale Paketergaenzung; schliesslich ist das fuer manche ja auch die gleiche Schublade? Auf jeden Fall sehr merkwuerdig und Wert mal nachzufragen, ob vielleicht auch andere ausser wirtschaftlichen Interessen dahinter stecken...schliesslich kann man durch eine absichtliche Falsch-Einsortierung ja unangenehme Produkte wunderbar sabotieren (ich gehe davon aus, dass der Film allein aufgrund dieses Vorschlags deutlich weniger verkauft als mit einer korrekten Ergaenzung, z. B. "Drei Farben: Blau" o. ae.)! Ein Foulspiel beim Lay-Up durch die Saboteure. Der Gefoulte erhaelt zwei Freiwuerfe.
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